Leib-Seele-Problem bei Descartes

Roland W. Henke

Das Leib-Seele-Problem bei Descartes – Aspekte zur Sachorientierung und Grundzüge einer dialektisch gefassten Unterrichtsreihe 

Die didaktische Relevanz des Leib-Seele-Problems im Philosophie-Unterricht 

Als Mensch bin ich mich mir in doppelter Weise gegeben und kann dies auch in einem Akt der Reflexion gewärtigen: Einmal erfahre ich mich als körperliches Wesen mit biologischen Bedürfnissen und unterschiedlichsten Empfindungen, das einen Ort in der Welt beansprucht und auch auf bestimmte materielle Bedingungen zu seiner Fortexistenz verwiesen ist. Das andere Mal erlebe ich mich in meinen Gefühlen, Gedanken, Sehnsüchten usw. als in meine eigene mentale Intimität eingeschlossen, zu der nur ich einen exklusiven Zugang habe und die ich prima facie nicht als etwas Körperliches erlebe. Andere können nur aus einer Deutung meiner physischen Erscheinung erschließen, welche inneren Zustände ich gerade durchlebe. 

Insofern ist das klassische Leib-Seele-Problem, das sich der Klärung der Beziehung zwischen der Außen- und der Innenseite des Menschen widmet, für junge Erwachsene resp. Schülerinnen und Schüler von besonderem Interesse. Denn die Kraft zur Reflexion, die ihnen sowohl ihre innere als auch ihre äußere Existenz bewusst machen kann, ist noch nicht so habitualisiert, oder auch geschwunden,  wie im fortgeschrittenen Alter. Der junge Mensch ist sich eher ein Rätsel als der ältere. Diese Tatsache, sowie der Ausgangs- und Zielpunkt des Leib-Seele-Problems beim Einzelsubjekt, beim Standpunkt der Subjektivität also, machen dieses philosophische Problem didaktisch besonders ergiebig. Die gedankliche Auseinandersetzung mit ihm kann Schülerinnen und Schülern paradigmatisch vorführen, was Philosophieren bedeutet, indem die doppelte Selbstgegebenheit des Menschen zum Ausgang genommen und auf ihre begrifflichen Voraussetzungen, ja auf ihre Plausibilität hin befragt wird. 

Um eine solche Denkbewegung nachhaltig zu motivieren und zu einer der Schülerinnen und Schüler selbst zu machen, in der sie ins eigene Philosophieren geraten, ist es für den hier zugrunde gelegten didaktischen Ansatz vorteilhaft, dass zwei konträre oder sogar kontradiktorische Intuitionen einander gegenüberstehen, die zu einer weiteren begrifflichen Klärung herausfordern. Das ist beim Leib-Seele-Problem in besonderer Weise der Fall.

Die Art des Denkens und partiell auch des Fühlens der jetzt lebenden Menschen basiert auf in der Vergangenheit entwickelten Ideen, die ursprüngliche Erfahrungen mit Hilfe eines Begriffssystems erklärt und, auf diese zurückwirkend, dabei zugleich stabilisiert haben. Das ist vermutlich der wesentliche Grund dafür, dass die meisten Schülerinnen und Schüler, wie die meisten Zeitgenossen überhaupt, intuitive Dualisten sind. Platonisches, oder ganz allgemein hellenistisches Gedankengut hat hier im Verbund mit dem Cartesianismus seine Wirkmacht entfaltet. Susan Blackmore empfiehlt zur Bewusstmachung dieser „natürlichen Einstellung“ ein Gedankenexperiment: 

„Stellen Sie sich einen Moment lang vor, Sie hätten die Wahl (und Sie könnten nicht „weder – noch“ antworten): a) Ihr Körper wird vollständig gegen einen anderen ausgetauscht, und Sie behalten ihr inneres bewusstes Selbst, oder b) Ihr inneres Selbst wird gegen ein anderes unspezifisches Selbst ausgetauscht, und Sie behalten Ihren Körper. Was wählen Sie?“ 

Und Blackmore antizipiert, was wohl jeder aus eigener Unterrichtserfahrung über die Mehrzahl seiner Schülerinnen und Schüler weiß: „Ich wette, Sie haben eine Wahl getroffen, und ich wette darüber hinaus, dass Sie sich dafür entschieden haben, Ihr inneres Selbst zu behalten. Wie unsinnig der Begriff auch ist, wir sind offenbar davon befallen, es hat uns schlimm gepackt. Wir sind in der Vorstellung gefangen, unser Selbst sei etwas, das von unserem Gehirn und unserem Körper getrennt ist. Das bedarf der Erklärung.“

Auf der anderen Seite zeitigt auch die neuzeitliche Naturwissenschaft und das mit ihr verbundene Naturalisierungsprogramm seine denkerischen Konsequenzen. Wir sehen uns ebenso als Produkte der natürlichen Evolution, als biologische Systeme, deren Gehirne mit ihren Gefühlen und Gedanken so etwas wie das innere Selbst produzieren, das sich im „struggle for live“ darwinscher Provenienz als erfolgreich erwiesen und das Überleben unserer Gattung ermöglicht hat. Die Abhängigkeit unseres Innenlebens von unserer physischen Konstitution erfahren wir auch unmittelbar z. B. bei Alzheimer-Kranken und Schlaganfallpatienten, die Hirnläsionen aufweisen; nicht zuletzt bei uns selbst, wenn wir uns etwa bei Trunkenheit als eingeschränkt oder verändert in unseren Sprach- und Denkleistungen erleben. In der antiken materialistischen Tradition eines Demokrit und Epikur sowie des neuzeitlichen Materialismus von la Mettrie u. a. besitzen solche Intuitionen eine ähnlich gediegene ideengeschichtliche Grundlage wie die dualistischen Einstellungen. Gegenwärtige Neurowissenschaftler wie Wolf Singer, Gerhard Roth und Antonio Damasio verstärken dieses Bild vom Menschen als Naturwesen, bei dem inneres Erleben in Form von Intentionen oder Freiheitsakten eine Illusion darstellt. Auch wenn die Schülerinnen und Schüler diese Autoren nicht aktiv rezipieren, so erfahren sie durch die Verbreitung derartigen Gedankenguts doch, was Habermas einmal die Kolonialisierung der Lebenswelt durch die (Natur-)Wissenschaften genannt hat. Ein Beleg dafür bildet der substituierbare Gebrauch der Begriffe Geist und Gehirn: In der Schüler- wie in der Alltagssprache ist es austauschbar, wer bzw. was gerade denkt: „Mein Geist oder mein Gehirn“.  

Wenn diese Diagnose einer Simultaneität von subjektivistischer und objektivistischer Intuition in Bezug auf das je eigene Selbstverständnis im vorphilosophischen Alltagsbewusstein zutrifft, dann lässt sich diese Differenz als didaktische Initialzündung nutzen: Sie muss bewusst gemacht werden, so dass im Einzelnen ein Klärungsbedürfnis entsteht, das zum eigenen problemorientierten Philosophieren anregt. Eine hier ansetzende Unterrichtseinheit müsste mindestens zwei konträre philosophische Positionen in den Blick nehmen, welche die Schülerinnen und Schüler zu einer eigenen fundierten Stellungnahme herausfordern. Diese Positionen sollten bei den skizzierten Alltagsintuitionen ansetzen und sie jeweils argumentativ ausdifferenzieren. Dabei kommt es darauf an, die Urteilskraft der Schülerinnen und Schüler an philosophiegeschichtlich ausgewiesenen Einwänden und Bewertungen der zuerst gebotenen philosophischen Position auszuschärfen. Auf diese Weise kann die Erarbeitung des anschließend vom Lehrenden eingebrachten zweiten konträren philosophischen Standpunktes argumentativ vorbereitet werden. Abschließend gilt es auch diesen einer beurteilenden Kritik auszusetzen, und zwar wiederum mit Hilfe philosophisch dimensionierter Stellungnahmen, zu denen sich die Lernsubjekte urteilend positionieren. Diese Reihentektonik basiert auf meinem Konzept einer dialektisch gefassten Philosophiedidaktik, deren Grundzüge ich bereits an anderer Stelle skizziert habe. 

Für das in Rede stehende Leib-Seele-Problem bietet sich der Auftakt mit den ersten beiden Meditationen aus Descartes’ Hauptwerk an. Als wirkmächtiger Vertreter der dualistischen Menschenauffassung ist Descartes schon deshalb didaktisch belangvoll, weil die Erarbeitung seines Gedankensystems eine (Selbst)Aufklärung über die begrifflichen Grundlagen der Moderne bedeutet, die den Schülerinnen und Schülern die ideengeschichtlichen Wurzeln ihrer Intuitionen transparent macht. Dabei legt sich die Fokussierung auf die Meditationen nahe, denn in diesem Werk findet sich ein exklusiver existentieller Ich-Bezug. Hier will Descartes nicht als ein Mensch des 17. Jahrhunderts den Zeitgenossen seine persönlichen Zweifel am bisherigen Wissen vortragen, wie es, zumindest partiell, im Discours den Anschein macht. Die Meditationen sind vielmehr ein Musterbeispiel subjektiven Philosophierens, das so angelegt ist, dass die vorgetragenen Überlegungen, die auf klaren verstandesmäßigen Argumenten beruhen, zugleich immer schon meine Überlegungen sind. Jeder von uns wird so in den Gedankengang hineingezogen, dass es sein je eigener wird, mit dem er über sich zu (neuen) Erkenntnissen gelangt. 

Auf dem Hintergrund des hier favorisierten didaktischen Ansatzes bieten die Meditationen noch einen weiteren unschätzbaren Vorzug: Sie wurden zugleich mit einer Reihe von Einwänden, den sog. Objektionen, namhafter zeitgenössischer Gelehrter aus Theologie und Philosophie publiziert. Insofern liefern sie die zur Ausschärfung der Urteilskraft der Lernenden notwendigen kritischen Einwände und Bewertungen gleich mit und ermöglichen – nach seinem Nachvollzug – das distanzierende Heraustreten aus dem streng subjektiven Gedankengang. Diesen Einwänden fügte Descartes schließlich noch seine Erwiderungen darauf bei, die es gestatten, seine eigene Position, im kontroversen Dialog reformuliert, vertieft kennen zu lernen. Obgleich sich viele der Einwände auf Descartes’ Gottesbeweise sowie seinen methodischen Zweifel und das Cogito-Argument richten, bleiben genug, die sich auf bis heute aktuelle Weise mit dem Leib-Seele-Dualismus auseinandersetzen.

Ihre Auswahl, die auf dem Hintergrund der gegenwärtigen Mentalismus-Diskussion erfolgt und zugleich die für die Erarbeitung ausgewählte (materialistische) Gegenposition vorbereiten hilft, soll die kritische Auseinandersetzung der Schülerinnen und Schüler mit Descartes’ Dualismus anstoßen und zu einer Gegenposition führen. Zu deren Explikation bieten sich sowohl materialistische Ansätze der Neuzeit, z. B. von La Mettrie oder d’ Holbach an – als auch aktuelle Autoren wie Damasio oder Metzinger, um so gegenwärtige Naturalisierungstendenzen in den (kritischen) Horizont der Schülerinnen und Schüler zu rücken. 

In diesem Beitrag werde ich die Descartes-Sequenz als ersten Teil der skizzierten Unterrichtsreihe genauer darstellen und die mögliche Fortsetzung dieser Reihe dann nur knapp umreißen. Zuvor gebe ich eine Sachorientierung über Descartes’ Gedankengang in den Meditationen, soweit er für die Entfaltung des Leib-Seele-Problems konstitutiv ist; dabei beziehe ich in nuce die wesentlichen Einwände ein, um sie sachlich zu kontextuieren.          

2 Der Leib-Seele-Dualismus als Konsequenz des cartesischen Zweifels 

Stellen wir uns einen Winterabend des Jahres 1640 oder 1641 vor. Draußen ist es sehr kalt,  Descartes aber hält sich in seinem geheizten Zimmer in den Niederlanden auf, wo er Ruhe und Schutz vor eventuellen Nachstellungen der Inquisition sucht. Wie es seit seiner Schulzeit so seine Gewohnheit ist, hat er den Vormittag im Bett zugebracht und dort meditiert. Nun ist er aufgestanden und hat sich im Wintermantel an seinen Schreibtisch gesetzt, in dessen unmittelbarer Nähe sich ein Ofen befindet. Der Philosoph ist zwar gesund, aber sehr wärmebedürftig, besonders wenn er nach langem Nachdenken das Bett endlich verlassen hat.  Er hat sich in die Einsamkeit zurückgezogen und will dort „den allgemeinen Umsturz aller Meinungen“ vornehmen. Descartes’ wichtigste Schrift Meditationes de Prima philosophia  entsteht.

Das Vorhaben dieser Schrift ist gewaltig. Alles traditionale Wissen, vornehmlich das der Scholastik, fasst Descartes von vorne herein als „Meinung“ auf, die es radikal zu überprüfen und auf einer sicheren Grundlage neu zu begründen gilt. Da nicht jede einzelne Meinung geprüft werden kann, hält sich Descartes an die den einzelnen Meinungen zugrunde liegenden Prinzipien. Sie will er verwerfen, wenn er auch nur einen nachvollziehbaren Anlass zum Zweifeln in ihnen findet. Descartes’ Zweifel ist radikal und methodisch. Radikal ist er deshalb, weil er (1) alles vorherige Wissen von vorne herein unter den Verdacht der Falschheit stellt und weil er (2) die Prinzipien dieses Wissen angreift. Er ist methodisch, weil er (1) die gefundenen Meinungsprinzipien in einer logischen Progression attackiert und weil er (2) praktisch nicht durchstehbar ist, denn er führt in die lebensweltliche Orientierungslosigkeit. Der letzte Punkt steht mit dem schon erwähnten Ich-Bezug der Meditationen in Zusammenhang, nach dem jeder so in den Gedankengang gezogen wird, dass es sein eigener sein könnte.  

Descartes führt in seinem Werk insgesamt drei Meinungsprinzipien auf. Das erste lautet. „Alles nämlich, was ich bis heute als ganz wahr gelten ließ, empfing ich […] von den Sinnen.“ Komprimierter: Die sinnliche Wahrnehmung vermittelt Gewissheit. Jedoch habe ich es auch schon oft genug erlebt, dass mich die Sinne täuschen. Ich sehe etwa, ein in ein Wasserglas gehaltener Stab sei gebrochen, oder Türme, die in der Ferne rund wirken, erscheinen mir aus der Nähe als viereckig. Fühle ich aber über den Stab oder gehe ich näher an die Türme heran, so muss ich feststellen, dass ich mich getäuscht habe. Nach Descartes’ Zweifelsgrundsatz, sogleich das als falsch aufzufassen, an dem sich nur ein berechtigter Zweifelsanlass findet, ist die sinnliche Gewissheit damit diskreditiert.

Allerdings: Die Instanz, mit deren Hilfe ich die Sinnestäuschung als solche entlarve, ist ebenfalls sinnlich bestimmt. Es ist meine sinnliche Nah- und körperliche Selbstwahrnehmung, die ich auch dann als gewiss voraussetze, wenn ich Sinnestäuschungen erlebe, da ich sie ja zur Erkenntnis dieser Täuschungen selbst in Anspruch nehmen. Über die viereckige Form der Türme vergewissere ich mich, indem ich dorthin gehe und sie in Augenschein nehmen; über den gebrochen wirkenden Stab streiche ich mit dem Finger. Auch wenn ich über Sinnestäuschungen nachdenke, gehe ich davon aus, dass ich jetzt in einem geheizten Raum sitze, oder – wie Descartes – mich am Ofen befinde. Damit ist das zweite Meinungsprinzip formuliert: Gewiss ist das, was ich über die sinnliche Nahwahrnehmung erfahre – sowie meine leibliche Selbstwahrnehmung. 

Dagegen fährt Descartes ein stärkeres Zweifelsgeschütz auf: den Traum. Auch im Traum glaube ich, im Winterrock am Ofen zu sitzen und zu meditieren, obwohl ich doch eigentlich im Schlafrock im Bett liege. Ich träume vielleicht auch, einen Körper voller Pestbeulen oder, wie Gregor Samsa, einen solchen wie ein Käfer zu haben, obschon ich nach dem Aufwachen feststelle, dass ich physisch derselbe bin wie vor dem Einschlafen. Das Traumargument lässt also auch die trügerische Sicherheit meiner Nah- und Selbstwahrnehmung schwinden und verunsichert jede Art von sinnlicher Gewissheit. 

So bleiben als dritte Meinungsklasse nur noch die mathematischen Wahrheiten übrig. Denn zwei plus drei sind auch im Traum fünf, das Quadrat hat auch dort zwei Seiten und selbst die geträumten Figuren haben eine Ausdehnung, eine Gestalt und einen Ort. Nur wenn man einmal annimmt, ein listiger und mächtiger Betrüger (genius malignus) täusche mich auch in diesen fundamentalen mathematischen Gewissheiten, bleibt wirklich nichts Sicheres mehr. Ich gerate in einen Strudel der Ungewissheiten. 

In dieser Situation stoße ich auf eine unumstößliche Gewissheit. Dass ich derjenige bin, der in seinem Denken alle diese Meinungsprinzipien bezweifelt, das kann selbst nicht bezweifelt werden. Mag es auch keine Erde und keinen Himmel geben, keinen Ofen und kein Zimmer, ja mag ich auch gar keinen Körper haben und mögen auch die mathematischen Sätze falsch sein, so muss doch wenigstens Ich sein, der sich all diese Gedanken gemacht, gedacht und gezweifelt hat. Auch wenn mich der Betrügergott durchweg täuscht, so muss er doch eben jemanden täuschen, und das bin Ich – zumindest solange ich denke, Ich sei. Descartes’ erster unumstößlicher Satz lautet daher: „Ego cogito, ego existo“, und in dieser Form drückt er das Ursprüngliche und Spontane der Selbstvergewisserung aus, die Descartes in den Meditationen gewissermaßen entdeckt. 

Das Cogito-Argument markiert dabei eine doppelte Bedeutung: den Vollzug des Denkens und die Reflexion auf diesen Vollzug. Wenn ich zweifle, denke ich, indem ich mich mit bestimmten Bewusstseinsinhalten, hier den Meinungsprinzipien, befasse. Wenn ich aber auf dieses aktuale Denken aufmerksam werde und es reflektiere, dann vermittelt mir diese Wahrnehmung punktuell die Gewissheit meiner Existenz als denkender. Ich ertappe mich gleichsam in flagranti beim Denken und vergewissere mich mit dieser Reflexion nuhaft meines eigenes Seins. Das reflexive Denken erzeugt also nicht das Sein, wie Petrus Gassendi, einer der philosophischen Widersacher Descartes’ einwandte, sondern verbürgt es nur. 

Descartes fasst in der weiteren Folge der Meditationen das Ich, die erste und vorläufig einzige Gewissheit, als denkende Substanz, als res cogitans, auf. Damit schmuggelt er zwei begriffliche Bestimmungen ein, die durch den bisherigen Gedankenverlauf der Meditationes nicht gedeckt sind. Die erste ist der Substanz-Begriff. In Anlehnung an die aristotelische Ontologie definiert  Descartes Substanz als „ein Ding, […] das so existiert, daß es zu seiner Existenz keines anderen Dinges bedarf“ Eine solche beharrende Wesenheit zu sein, unterschiebt Descartes hier auch dem Ich, obwohl es sich bislang nur als Tätigkeit oder Aktus, nämlich des Denkens, dargestellt hat. Damit, das ist ein zentrales Motiv seiner substantiellen Ich-Bestimmung, wäre auch die Unsterblichkeit der Seele möglich. 

Die zweite begriffliche Zuschreibung ist mindestens ebenso bedenklich. Das substantiell verstandene Ich bekommt als Hauptattribut das Denken zugewiesen. Zwar ist es richtig, dass allein das reflexive Denken i. S. einer intentio obliqua die Selbstgewissheit vermitteln kann, es ist aber damit noch lange nicht ausgemacht, dass das Ich auch wesenhaft Denken ist. Bereits Hobbes formulierte diesen Einwand: „Denn es dürfte doch kein richtiger Schluss sein zu sagen: ‚ich bin ein Denkender, also bin ich ein Gedanke’. Reflexion und Vollzug sind hier sorgsam zu unterscheiden, und vor allem darf die Inanspruchnahme der Reflexion als Denkform nicht dazu führen, diese mit dem Ich zu identifizieren und dieses Denk-Ich dann auch noch zu hypostasieren. 

Machen wir uns die Quelle dieses philosophischen Irrtums durch die Rückkehr zum Ausgangspunkt der „Meditationen“ und die dort herrschenden idealen Versuchsbedingungen klar. Den Umsturz aller Meinungen hatte Descartes in der Einsamkeit, im besten Alter und im geheizten Zimmer, bei zuträglicher Gesundheit vollzogen. Bedingung für sein alles bezweifelndes und schließlich eine erste Wahrheit findendes Denken war also die weitgehende Ruhigstellung der aus der Leiblichkeit kommenden Bedürfnisse. In dieser Situation können, wenigstens für einen Philosophen und Mathematiker wie Descartes, die vollzogenen Denkakte leicht als Hauptattribut des Ich erscheinen. Werden die situativen Bedingungen aber geändert, etwa durch eine Krankheit des Meditierenden oder den Ausfall des Ofens, sieht die Angelegenheit schon anders aus: Nun meldet sich über die Störung das Selbstgefühl bzw. die eigene Befindlichkeit als Grundlage des Selbstbewusstseins und verdeutlicht, dass das Denken zwar die Instanz der Selbstvergewisserung, aber noch lange nicht das Hauptattribut des subjektiven Seins ist. Das Denken, so wird durch das Leiden deutlich, ist nicht automatisch die primäre und einzige Eigenschaft des Selbst, sondern es kann lediglich zum Selbstgefühl hinzutreten und vermag dadurch dieses Gefühl zu einem ichhaften zu machen, z. B. in dem Satz: „Ich bin krank“ – der eigentlich heißen müsste: “Ich denke, ich bin krank“. Gerhart Schmidt pointiert dies in seinem Descartes-Buch treffend so: „Wenn dann die beglückende Erkenntnis „ich bin, ich existiere“ aufbricht, so klingt es wie ein dankbares „ich bin gesund“. 

Hätte Descartes von Beginn an den Empfindungen und Gefühlen hinreichende Aufmerksamkeit entgegengebracht, so wäre er zu dem – wohl wahren – Satz gelangt: Ich bin eine empfindende, fühlende und bisweilen auch denkende Aktualität, die sich ihres Seins punktuell durch eben dieses Denken vergewissern kann. Bereits Mersenne hatte herausgestellt, dass die Reduktion des Ich auf ein denkendes Ding an der von Descartes vorgenommenen Fiktion hängt, alle Körpervorstellungen und -empfindungen künstlich zu bannen.   

Kehren wir zur zweiten Meditation zurück. Dort befindet sich das Ich inzwischen in einer mönchischen Isolation. Der Kontakt zu allen bisherigen Gewissheiten ist abgeschnitten. Es weiß nur, dass es existiert, und als Was ihm das Sein zukommt: Es ist nämlich ein Ding, eine unabhängige, beharrende Substanz, deren wichtigstes Attribut das Denken vorstellt. Alles Übrige ist ungewiss, etwa ob es außer ihm materielle Dinge gibt oder ob es überhaupt einen realen Körper besitzt. Um den Ausweg aus dieser „ontologischen Einsamkeit“ zu finden, greift Descartes auf Gott zurück. Mit Hilfe des sog. ideentheoretischen Gottesbeweises, dem später ein zweiter, der ontologische,  folgt, durchbricht das Ich seine Isolation. Da Gott, der vom denkenden Ich als notwendig existierend und gütig bewiesen wird, kein Betrüger ist, stimmt der Eindruck des Ich, dass seine Empfindungen von außer ihm liegenden materiellen Gegenständen herrühren. So erscheint schließlich die Existenz der Körperwelt als ganze (wieder) gewiss – und Gott ist der Garant dafür.

Wichtig für unseren Zusammenhang sind nicht die Gottesbeweise, sondern dass die Gewissheit der Körperwelt, die durch die Sinne vermittelt wird, für Descartes eine Gewissheit zweiten Grades darstellt. Die Körperwelt wird von ihm zwar auch als Substanz bestimmt, aber ihre Gewissheit ist von der des Ich als „res cogitans“ abgeleitet. Während der ichhaften Substanz das Hauptattribut des Denkens eignet, mit den zwei Modi Erkennen und Wollen – sie ist also eine Art Denkseele –, kommt der Körpersubstanz das der Ausdehnung zu. Sie ist „res extensa“ – mit den zwei Modi Gestalt und Bewegung. Die ganze Wirklichkeit besteht somit aus zwei wesenhaft verschiedenen Substanzen, die jeweils das Denken oder die Ausdehnung als ihr Hauptattribut aufweisen. 

Das erste Argument für diese dualistische Weltsicht ist die Teilbarkeit des Körperlichen (sog. Unteilbarkeitsintuition), die sich nach Descartes beim Geistigen nicht findet. Das zweite Argument, auch als „epistemologisches Argument“ bezeichnet, zielt auf die Klarheit und Deutlichkeit der Selbsterkenntnis des Geistes: Zwar kann ich an der Existenz körperlicher Dinge sinnvoll zweifeln, aber nicht an meiner eigenen, die ich „clare et distincte“ erfasse. So wie ich schon ein Stück Wachs, das schmilzt, nur durch einen geistigen Einblick als solches erfassen kann, so kann ich erst recht mich selbst als „res cogitans“ im meditativer geistiger Selbstbesinnung vollständig begreifen. Daher bin ich – als Geist bzw. Denkseele –  auch wirklich und metaphysisch vom Körper verschieden. 

Bereits Arnauld machte in seinen Einwänden gegen die „Meditationen“ an einem geometrischen Beispiel geltend, dass der Wissens- oder Gewissheitsgrad über eine Sache noch nichts über die reale Beschaffenheit dieser Sache aussagt: Angenommen, jemand erkennt klar und deutlich eine konstitutive Eigenschaft des Dreiecks, etwa seine Rechtwinkligkeit im Thaleskreis (Halbkreis), er zweifelt aber daran, dass das Quadrat über der Hypotenuse dieses Dreiecks den Quadraten über den beiden anderen Seiten entspricht – dann sagt das etwas über das beschränkte geometrische Wissen dieser Person aus – nicht aber etwas über die realen Verhältnisse im Dreieck. Zudem widerspricht es der Selbsterfahrung, dass man sich in meditativer Introspektion klar und deutlich als denkende Substanz erfassen kann. Die Konzentration auf mich selbst, so wandte bereits Hume gegen den Cartesianismus ein, fördert eher das Gegenteil zutage und widerspricht der These der reflexiven Selbsttransparenz. Denn wenn ich mich zu einem bestimmten Zeitpunkt reflektierend erfasse, erfasse ich nur einen aktuellen Gemütszustand, und im nächsten Moment schon wieder einen anderen. Ein Ich als stabiler Träger all dieser Zustände ist mir gar nicht zugänglich. 

Nach Descartes’ Auffassung besteht der Mensch gleichwohl aus einer geistigen Seelen- und einer ausgedehnten Körpersubstanz. Dabei stellt er sich diese Trennung so vor, dass der Körper alle vitalen Funktionen wie ein Automat unwillkürlich aus sich heraus erfüllt, wozu auch die notwendigen Reaktionen auf eine von vielfältigen Reizen bestimmte Umwelt gehören. Der Körper funktioniert im vegetativen und sinnlichen Bereich rein mechanisch wie eine an ihre Umwelt anpassende Maschine. Er ist eine Gliedermaschine, die – auf bislang rätselhafte Weise – mit dem Geist verbunden ist. Descartes schreibt: 

„So kann ich [..] den menschlichen Körper als eine Art Maschine ansehen, die aus Knochen, Nerven, Muskeln, Adern, Blut und Haut zusammengepasst ist und auch geistlos all die Bewegungen ausführt, wie sie jetzt unwillkürlich, also ohne den Geist, ablaufen.“

Damit ist der menschliche Körper den Tieren vergleichbar, die in cartesischer Auffassung nach Naturgesetzen funktionierende Automaten sind. Ich selbst bin dann, wie es der englische Philosoph Gilbert Ryle einmal formuliert hat, als Geist ein „Gespenst in einer Maschine“.

3 Folgeprobleme des cartesischen Dualismus 

Mit dieser dualistischen Bestimmung des Menschen hat sich Descartes das Folgeproblem der Verbindung von Körper und Denkseele, von zwei ganz und gar heterogenen Entitäten also, eingehandelt, das in der gegenwärtigen „philosophy of mind“ auch als Problem der mentalen Verursachung firmiert. Denn in der alltäglichen Lebenspraxis wirken Körper und Geist ja wechselseitig aufeinander ein. Wie ist es nach dem Zwei-Substanzen-Modell aber möglich, dass eine denkende Wesenheit auf eine prinzipiell andere ausgedehnte Wesenheit einwirkt, um sie etwa zu einer willkürlichen Handlung zu bewegen? Wie kann umgekehrt ein körperlicher Reiz von der Denkseele wahrgenommen und als zu ihr gehörig empfunden werden? 

Besonders die Schmerzempfindung verdeutlicht das Problem. Angesichts ihrer Erfahrung muss Descartes zugeben, dass die Verbindung zwischen Körper und Seele besonders eng sei, ja dass sie gewissermaßen vermischt seien, und er lehnt in diesem Zusammenhang das traditionale platonische Modell von der Seele als Steuermann (pedótes) und dem Leib als Schiff ab. Denn der Steuermann nimmt eine Beschädigung seines Schiffes durch den Gesichtssinn sozusagen von außen wahr, während die Seele die Schmerzen der Körperverletzung als ihre Schmerzen spürt und sie nicht nur durch das Denken als etwas ihr Äußerliches erfasst. Descartes’ philosophischer Widersacher Gassendi ist aber mit diesem Zugeständnis an die personale Identität nicht zufrieden. In seinen fünften Einwänden zu den „Meditationen“ stellt er Descartes die Frage, wie er glauben könne, der Schmerzempfindung fähig zu sein, wenn er doch wesenhaft unkörperlich und unausgedehnt sei?“ 

Diese Frage beinhaltet außer dem Hinweis auf die prinzipielle Heterogenität der beiden Entitäten auch das Problem der Lokalisierung ihrer Interaktion. Beides behandelt Descartes ausführlicher in seinen naturphilosophischen Schriften. Dort entwickelt er das Lehrstück von der Zirbeldrüse und den esprits animaux.

Ggf. Abbildung Vorder- / Seitenansicht des Conariums im Gehirn (vgl. Zugänge 2, S. 193)

Die Zirbeldrüse (conarium) war das einzige unpaarige Organ, das Descartes beim Sezieren des menschlichen Gehirns finden konnte. Er vermutete daher, dass die Seele dort hauptsächlich ihren Sitz habe und die bereits zuvor zusammen gefassten Sinnesdaten in Form von Körperbildern im Empfang nähme. Um weiter begreiflich zu machen, wie die Seele auf den Körper einwirkt, ersinnt Descartes winzig kleine Lebensgeister (esprits animaux), die über den ganzen Körper, mit besonderer Konzentration im Gehirn, verteilt sind und ihn in den Nervenbahnen durchströmen. Das Conarium sitzt nun nach Descartes, an kleinen Arterien aufgehängt, über diesem Strom der Lebensgeister und vermag ihn, etwa zum Zweck einer willkürlichen Bewegung, zu steuern. Dabei kann die Seele bzw. das Bewusstsein das Conarium so justieren, dass es den Strom der Lebenskobolde durch die Nervenbahnen an den betreffenden Muskel lenkt; diese verbünden sich   mit den dort bereits befindlichen Geistern und reizen den Muskel so, dass er die gewünschte Bewegung vollzieht. 

Ggf. Abbildung zur sensorischen Nervenfunktion (vgl. Zugänge 2, S. 192)

Dass Descartes’ Theorie von der Zirbeldrüse als Sitz des Bewusstseins medizinisch überholt ist, muss noch kein prinzipielles Argument gegen sie sein. Aber selbst wenn man den Geist anderweitig lokalisieren könnte, etwa durch die Annahme der heutigen Neurologie, die das Ich-Bewusstsein aus dem hochkomplexen Konzert der Neuronenvernetzungen entstehen sieht, ist das Problem der Verbindung von zwei kausal aufeinander einwirkenden disparaten Substanzen philosophisch nicht gelöst. Denn dazu wären Zwischenglieder nötig, welche als Vermittlungsinstanz von Körper und Geist deren Interaktion erklären könnten. Descartes’ „esprits animaux“ sollen genau diese Zwischenglieder sein, aber indem unklar bleibt, ob sie ontologisch primär körperlicher oder geistiger Natur sind, wird die Frage nach der kausalen Interaktion von zwei disparaten Substanzen nur verschoben. Eine Lösung kann es auf dem Boden dieses Ansatzes letztlich nur geben, wenn Gott für ihre Synchronisation verantwortlich gemacht wird, wie es etwa im Parallelismus von Leibniz oder, noch unmittelbarer, im Okkasionalismus von Malebranche geschieht.  

Noch drängenderen existentiellen Anfragen an sein dualistisches Konzept als der von Gassendi sieht sich Descartes durch die Bekanntschaft mit einer Frau gegenübergestellt. 1643 lernt er Elisabeth von der Pfalz, die Tochter des 1620 entthronten Königs von Böhmen kennen, die im Exil lebt. Zwischen beiden entwickelt sich ein lebhafter Briefwechsel, in dem sich Descartes philosophisch mit den Phänomenen Krankheit und Leidenschaft auseinandersetzt. 1645 erfährt der zurückgezogen in den Niederlanden lebende Philosoph von einer hartnäckigen Krankheit Elisabeths, einem schleichenden Fieber mit trockenem Husten, das nicht weichen will. Als Ursache dieser Krankheit konstatiert er in einer Ferndiagnose die Traurigkeit der Prinzessin, die aus den Verfolgungen, die ihr Haus erleidet, resultiere. Er gesteht damit also eine Leidenschaft (Passion) zu, welche die Seele selbst fühlt und die sie auf sich bezieht. Diese Passion resultiert zwar aus außerpsychischen Vorgängen und wirkt sich auch wieder auf Außerpsychisches, nämlich den eigenen Körper aus, aber sie kommt wesenhaft der Seele selbst als „res cogitans“ zu. Damit ist der harte Dualismus der Meditationenaufgeweicht und der Seele selbst werden Leidenschaften zugestanden, die aus der Leiblichkeit erwachsen und sich ihrerseits wieder auf sie auswirken. 

In der späten Schrift Die Leidenschaften der Seele entfaltet Descartes diese Theorie genauer. Außer den Empfindungen wie Hunger und Durst, die der Seele nur insoweit zukommen, als sie mit dem Körper vermischt ist, nennt er sechs ursprüngliche Passionen, die unmittelbar auf sie selbst bezogen sind: Staunen und Begierde, sowie Liebe / Hass und Freude / Trauer als Gegensatzpaare. Es sind seelische Regungen mit physischen Auswirkungen, die in der Seelensubstanz selbst wirken. Damit ist deren reine Rationalität und Körperlosigkeit aufgeweicht. 

Mit dieser Auffassung der menschlichen Psyche nähert sich Descartes dem aristotelischen Seelenmodell an, das er eigentlich, neben dem atomistischen, durch seinen Dualismus bekämpfen wollte. Nach Aristoteles ist die Seele die Form des lebendigen Körpers, sein Lebens- und Bewegungsprinzip, das sich in Pflanzen, Tieren und Menschen in unterschiedlichen Abstufungen als Nähr-, Sinnen- und Geistseele findet, wobei die höhere Form stets die niedere einschließt. Nach diesem hylemorphistischen Modell scheint allerdings eine unsterbliche Seele kaum denkbar. Weil aber die Eröffnung dieser Möglichkeit ein entscheidendes Motiv für den Substanzen-Dualismus darstellt, hält Descartes in letzter Konsequenz an ihm fest.

Dazu treibt ihn zusätzlich ein ethisches Motiv: „Sicher, die Seele kann ihre eigenen Freuden haben, was aber die betrifft, die sie mit dem Körper gemein hat, so hängen diese gänzlich von den Leidenschaften ab […]. Aber allein die Weisheit ist dazu dienlich, zu lehren, so ihrer Herr zu werden […], dass die Übel, die sie verursachen, erträglich sind und man aus ihnen alle Freuden gewinnen kann.    

Schon seiner Briefpartnerin Elisabeth empfiehlt er in stoischer Tradition, ihre Traurigkeit und damit ihre Krankheit durch vernünftige Überlegungen zu bekämpfen und bringt dabei einen Unterschied zwischen den gewöhnlichen und den großen Seelen ins Spiel: Während jene sich in ihren Gefühlen gehen lassen und ihr Glück oder Unglück vom je gerade Angenehmen oder Unangenehmen bestimmen lassen, stellen „die anderen so starke und kraftvolle Überlegungen an, dass ihre Vernunft, obwohl sie auch Gefühle und oft sogar mächtigere als die des Durchschnitts haben, trotzdem immer die Herrin bleibt. […] So üben sie sich, wenn sie in ihrem Körper Schmerz [man möchte ergänzen: und in der Seele Leidenschaft] empfinden, darin, ihn geduldig zu ertragen, und diese Probe, die sie von ihrer Stärke ablegen, ist ihnen angenehm.“. 

In dieser Empfehlung wird die ethische, näherhin die freiheitstheoretische Motivation für den Leib-Seele-Dualismus sinnfällig. Nur für die Alltgasmenschen gibt Descartes in der Lebenspraxis eine unauflösliche Einheit zwischen Geist und Körper zu, weil sie in erster Linie durch die Sinne bestimmt sind, welche die Union zwischen beiden Substanzen erfahren lassen. Die Unabhängigkeit des Geistes vom Körper wird aber durch den reinen Intellekt erkannt, und zwar in einer methodisch kontrollierten Reflexion, wie sie in den Meditationenvorliegt. Daher könne auch nur ein geschulter philosophischer Intellekt die Leidenschaften in einer Art Psychotechnik so gegeneinander ausspielen, dass sie sich schließlich neutralisieren und die Vernunft die Oberhand behält. Descartes ahnt hier zwar die lebenspraktische Macht des Körpers über das Bewusstsein und gesteht Passionen innerhalb seines dualistischen Modells als Bewegungen der Seele zu. Er neutralisiert sie aber zugleich, indem er sie als bloß passive Bewegungen fasst, die durch die allein aktive Vernunft beherrscht werden können.  

Eine einseitige Abhängigkeit des Geistigen von physischen und emotionalen Prozessen will Descartes nicht konzedieren. Dies veranlasst u. a. den Neurophysiologen Damasio dazu, den cartesischen Dualismus als „Descartes Irrtum“ zu geißeln und in materialistischer Manier vom Körper resp. Gehirn als einzig realer Substanz auszugehen. Aber nicht nur Damasio oder andere nicht-materialistische Descartes-Kritiker des 20. Jahrhunderts, wie etwa Merleau-Ponty, sondern schon die zeitgenössischen Kontrahenten Descartes’ verweisen, wie erwähnt, in ihren Einwänden auf die Problematik des cartesischen Dualismus angesichts der Selbsterfahrung von Leidenschaft, Krankheit und Mortalität. Wie diese Einwände für eine dialektisch komponierte Unterrichtsreihe genutzt werden können, soll nun aufgezeigt werden. 

4 Grundzüge einer dialektisch gefassten Unterrichtsreihe zum cartesischen Dualismus 

a) Überblick:

1. Problemorientierter Einstieg: Bewusstmachen der konträren Intuitionen der SuS und vorläufige Klärung der Frage, welche Intuition „die wahre“ ist  

2. Erarbeitung (I): Erschließende Lektüre der ersten beiden cartesischen Meditationen 

3. Vertiefung: Die Funktion des ontologischen Gottesbeweises (5. Med.) und genauere Bestimmung der Leib-Seele-Beziehung bei Descartes   

4. Kritische Auseinandersetzung (I): Erschließung und Beurteilung von Einwänden gegen den cartesischen Dualismus und seine Herleitung, z. B. von zeitgenössischen Kritikern oder Damasio 

Exkurs: Biologische Grundlagen der Hirnforschung (Power-Point-Präsentation)

5. Erarbeitung (II): Erschließende Lektüre von Textauszügen von Damasio oder Metzinger, in denen deren reduktionistische Position deutlich wird   

6. Kritische Auseinandersetzung (II): Erschließung und Beurteilung von Einwänden gegen den Reduktionismus, z. B. von Nagel, Popper, Schulte  

7. Transfer / Ergebnissicherung: Aufweis der anthropologischen Konsequenzen von Dualismus und Reduktionismus an einem fiktiven Beispiel: Lem, Gibt es Sie, Mr. Johns?  

8. Ausblick: Aufweis der ethischen Konsequenzen beider Positionen 

b) Erläuterungen:   

Eröffnet werden sollte die Reihe mit einer Klärung der Intuitionen der Schülerinnen und Schüler  zum Verhältnis von Leib und Seele. Um zu verdeutlichen, dass diese unmittelbar dualistisch beschaffen sind, kann das bereits zitierte Gedankenexperiment von Susan Blackmore verwendet werden. Durch entsprechende Beispiele wie Alkoholeinfluss, Alzheimererkrankungen usw.  können die konträren materialistischen Grundeinstellungen bewusst gemacht werden. Anschließend wird mit der Frage, welche der beiden Intuitionen wahr sei, die Problemstellung der Unterrichtsreihe bestimmt und der Lehrer erläutert, dass nun zuerst – über einen Umweg – eine wichtige Begründung für die dualistische Intuition vorgestellt werden soll. So beginnt man mit einer gründlichen Lektüre der ersten Meditation. 

Um zu ihrem Auftakt die Eigenart des cartesischen Zweifels herauszuarbeiten, bietet sich eine Kontrastierung zwischen dem Zweifel im Alltag und seiner methodischen Form bei Descartes an. Der cartesische Zweifel ist, anders als der alltägliche, umfassend und hyperbolisch, denn ihm genügt bereits ein geringer Anlass, um das Bezweifelte als ungewiss anzunehmen. Er ist zudem radikal, denn er greift die Fundamente allen Wissens an, indem er sie von vorne herein als Meinungen abstempelt. 

Nun gilt es die o. a. Meinungsprinzipien aus dem Text zu erheben und, veranschaulicht an Beispielen, in Beziehung zu den jeweils auf sie zugeschnittenen Zweifelsargumenten zu setzen. 

1. Meinungsprinzip: „Das durch die Sinne Empfangene ist gewiss.“ (mittelbare sinnliche Gewissheit)  1. Zweifelsargument: „Die Sinne täuschen mich bisweilen“. (Sinnestäuschungen) 
2. Meinungsprinzip: „Das durch die sinnliche Nahwahrnehmung und die körperliche Selbstwahrnehmung Empfangene ist gewiss“. (unmittelbare sinnliche Gewissheit) 2. Zweifelsargument: „Auch im Traum erscheint dies so, stellt sich aber nach dem Erwachen als falsch heraus; also könnte auch der Wacheindruck täuschen.“ (Traumargument)  
3. Meinungsprinzip: „Die mathematischen Strukturen der Wirklichkeit sind gewiss und durch den Verstand erfassbar.“ 3. Zweifelsargument: „Ein böser Geist (genius malignus) könnte mich immer täuschen, wenn ich mathematische Operationen durchführe.“  

Der strukturierte argumentative Aufbau der ersten Meditation erleichtert den selbstständigen Nachvollzug durch die Schülerinnen und Schüler. Die ersten beiden Zweifelsargumente können dabei eindrucksvoll durch den Einsatz (audio)visueller Medien wie diverser Abbildungen zu Sinnestäuschungen und die Anfangssequenz aus dem Film Vanilla Sky veranschaulicht werden. Zwei sachliche Klärungen sollten vom Unterrichtenden vorgenommen werden: Zum einen ist zu verdeutlichen, dass die wirklichen Dinge, aus denen der Traum sein Gegenstands- oder der Maler sein Bildrepertoire schöpft, nur eine Analogie darstellen, mit der Descartes den Status der mathematischen Strukturen als Fundament der sinnlich erfahrbaren Realität verdeutlichen möchte (rationalistische Voraussetzung). Zum anderen ist dem Missverständnis zu begegnen, die Geltung des genius-malignus-Arguments sei vom Glauben an einen allmächtigen Gott abhängig; bei diesem Glauben handelt es sich hingegen um eine „vetus opinio“, eine traditionale Meinung, die zum Zweifel an der Gewissheit der mathematischen Wahrheiten nicht notwendig ist, da die menschliche Irrtumsfähigkeit um so höher zu veranschlagen ist, je weniger Macht dem Schöpfer zugebilligt wird. 

Es gilt nun, die existentielle Dramatik zu entfalten, die in der ontologischen Einsamkeit liegt, in der sich der Meditierende bzw. der die erste Meditation Nachvollziehende befindet. Dazu bietet sich eine Diskussion in der Lerngruppe an, deren Ziel es ist, einen zweifelsfreien Ausweg aus dem hier aufscheinenden Solipsismus zu suchen; ergiebig kann auch ein Vergleich mit Putnams Gedankenexperiment vom Hirn im Tank sein, um die existentielle Einsamkeit des Ich am Ausgang der ersten Meditation aufzuweisen: Putnams Proband hat oder ist wenigstens noch ein Gehirn, zudem existiert eine Außenwelt mit Simulationscomputern usw., während bei Descartes nur noch ein reines Geistwesen als Ich, ohne jeden Realitätsbezug, übrig bleibt. Analoges gilt für einen Vergleich von Descartes’ Arrangement mit dem im Film Matrix.

Nun schließt sich sinnvoll die Lektüre der ersten drei Absätze der zweiten Meditation an. Herauszuarbeiten ist dabei die Punktualität der Vergewisserung der Ich-Existenz in einem Reflexionsakt, wie oben aufgewiesen. In den anschließend zu lesenden Absätzen vier bis neun sollte der Akzent auf die Erarbeitung der den Dualismus plausibel machenden Argumentation gelegt werden. 

Schließlich ist noch das ab dem 10. Absatz entfaltete sog. epistemologische Argument Descartes’ nachzuvollziehen. Das eingebrachte Wachsbeispiel, das sich im übrigen gut durch ein Schülerexperiment mit einem wirklichen Stück Bienenwachs demonstrieren lässt, hat hier die spezielle Funktion, den durch den bisherigen Gedankengang schon entfalteten Körper-Geist-Dualismus weiter zu stützen. Wenn ich schon durch einen vom Geist gebildeten Begriff die Identität des Wachses, eines äußeren Objektes also, bei wechselnden Aggregatzuständen setze und es so als Wachs erkenne, dann ist die Erkenntnis von mir und meiner Existenz noch viel evidenter; denn auch sie erfolgt nicht durch die Sinne, sondern durch eine geistige Tätigkeit, d. h. hier durch den bisherigen methodischen Zweifelsgang und sein Resultat, das „cogito“. 

Nach dem Gang durch die ersten beiden Meditationen sollte kurz in einem Lehrervortrag auf die cartesischen Gottesbeweise eingegangen werden. Da der ontologische Gottesbeweis der fünften Meditation vom ideentheoretischen Beweis der dritten argumentativ unabhängig ist, kann man sich auf ihn konzentrieren und besonders seine Garantieleistung für den Neuaufbau des – jetzt sicheren – Wissens und der Wirklichkeit herausstreichen. Von dort aus kann noch einmal der Fokus auf das Leib-Seele-Problem gelegt werden. Was unterscheidet Körper und Denk-Seele endgültig voneinander und wie sind sie miteinander verbunden? Nun, ihre Verbindung ist nach Descartes zwar sehr eng, wie der Abweis des platonischen Beispiels vom Steuermann und seinem Schiff zeigt, aber zugleich sind und bleiben sie substantiell unterschieden, u. a. aufgrund ihrer Teilbarkeit bzw. Unteilbarkeit. Die Lektüre der einschlägigen Stellen aus der sechsten Meditation, ggf. mit Ergänzungen aus dem Discours, gibt hierüber genaueren Aufschluss.    

Auf die skizzierte Erarbeitung der cartesischen Lösung des Leib-Seele-Problem kann jetzt, nach dialektischer Tektonik, die kritische Würdigung dieses Philosophems folgen. Dazu bieten sich geeignete Auszüge aus den bereits erwähnten Einwänden gegen Descartes’ Hauptwerk an, die gut arbeitsteilig in Gruppen erarbeitet werden können. Sie wecken das kritische Beurteilungspotential der Schülerinnen und Schüler und vitalisieren es auf einem philosophischen Niveau, indem diese Einwände wiederum zur Beurteilung ihrer Geltung herausfordern. Darüber hinaus erlauben sie die Diagnose bzw. Vertiefung des bisher erreichten Descartes-Verständnisses.

Zu diesem Zweck kann der Auftrag gegeben werden, die Einwände aus Descartes’ Perspektive zu beantworten und diese Antworten ggf. mit Descartes’ eigenen Repliken auf die Einwände zu vergleichen. Die Erwiderungen Descartes’ sind allerdings oft schwer verständlich, so dass sich eine Beschränkung auf wenige empfiehlt. Notfalls sind sie auch ganz entbehrlich. Jedenfalls sollten sie keinesfalls als „richtige Lösungen“ bzw. zutreffende Zurückweisungen der Einwände in den Schülerhorizont gelangen, da eine eigenständige beurteilende Positionierung der Lernenden zur Berechtigung der Einwände unumgänglich ist. Diese im Detail zu antizipieren, ist nicht möglich. Als Orientierungshilfe zu ihrer Einschätzung kann aber vom Lehrenden auf die im zweiten und dritten Absatz dieses Beitrages aufgeführten Sachzusammenhänge rekurriert werden.

Die Einwände werden die zuvor von den Schülerinnen und Schülern nachvollzogene cartesische Argumentation mit ihrer Lösung des Leib-Seele-Problems erschüttern. Daher lässt sich hier stringent die Erarbeitung einer materialistischen Position der Neuzeit oder des 20./21. Jahrhunderts anschließen, um nun die objektivistischen Intuitionen der Lernsubjekte philosophisch auszudifferenzieren. Auf klassische Positionen der Neuzeit, wie La Mettrie oder d’Holbach, wurde als Auswahlmöglichkeit schon hingewiesen, ebenso auf die Option, aktuelle reduktionistische Positionen wie die von Damasio oder Metzinger einzubeziehen. Bei deren Auswahl sollten zuvor die biologischen Grundlagen der Hirnforschung erarbeitet werden, z. B. in einer Power-Point-Präsentation. Auch die Traktierung von Nietzsches lebensphilosophisch gefasstem Konzept der „großen Vernunft des Leibes“ kann Sinn machen. Für die genannten und weitere Möglichkeiten bietet der  Band Zugänge zur Philosophie II  ein schülergerechtes Angebot an Textauszügen und Bildmaterial. Er erlaubt auch, eine oder mehrere der ausgewählten Positionen wiederum einer kritischen Revision zu unterziehen, insoweit hier vier argumentative Stellungnahmen gegen den Reduktionismus versammelt sind, an denen die Schülerinnen und Schüler ihre eigene Urteilsfähigkeit neuerlich erproben können. 

Um schließlich noch die Konsequenzen beider Positionen für das Selbstverständnis des Menschen im Computerzeitalter in den Blick zu nehmen, bietet sich ein Rekurs auf Lems Science-Fiktion-Erzählung Gibt es Sie, Mister Johns? an. Zugleich können dadurch der dualistische und der reduktionistische Ansatz an einem konkreten Beispiel auf der Transferebene miteinander verglichen werden. Nach der Textlektüre und ersten spontanen Äußerungen zum Fall Johns kann hierzu in themengleichen Gruppenarbeit – am besten in Vierergruppen, um alle Rollen (Richter, Anwalt, Präsident Donovan, Johns) besetzten zu können – die Fortsetzung der geschilderten Gerichtsverhandlung vorbereitet und simuliert werden. Dabei sollte die Verteidigerrolle von einem Cartesianer und die des Cybernetic-Präsidenten von einem Reduktionisten resp. Physikalisten, je nach behandelter Contra-Position, übernommen werden. Ggf. können auch Sachverständige die fallbezogene Entfaltung der philosophischen Positionen übernehmen. Bei der Auswertung der Präsentationen müsste deutlich werden, dass Johns in cartesisch-dualistischer Perspektive noch er selbst sein könnte, falls sich seine Ich-Substanz mit der Totalprothese zu einer interaktiven, lebenspraktischen Einheit verbunden hat; aus materialistischer Sicht hingegen muss die Identitätsbehauptung des Prothesengefüges mit Harry Johns als Täuschung bzw. bloßer Bestandteil eines Computerprogramms eingeschätzt werden. Der Arbeitsauftrag an die Schülerinnen und Schüler, aus der Perspektive des Richters eine Urteilsbegründung zu verfassen, verlangt nochmals eine eigenständige argumentative Positionierung zum Leib-Seele-Problem. 

Die Konsequenzen von Dualismus und materialistischem Monismus für das Menschenbild im KI-Zeitalter zu durchdenken, sollte in einer offenen Schlussdiskussion geschehen, die vom Fall Johns den Ausgang nimmt. Dualisten können Computern, wie auch Tieren, kein genuines Ich-Bewusstsein zusprechen, weil dieses aus einer eigenen immateriellen Seelensubstanz herrührt, die nur Menschen (qua göttlicher Einflussnahme?) eignet und dabei zugleich die menschliche Willensfreiheit sichert. Reduktionisten schließen eben dieses nicht aus, weil materielle Systeme mit einem hohen Komplexitätsgrad zumindest theoretisch interne mentale Ich-Zustände als Repräsentationen oder Modelle ihrer selbst produzieren können, die denen des menschlichen Organismus vergleichbar sind. In der Konsequenz wird so auch der Mensch selbst „l’homme maschine“, mit allenfalls der Illusion eines freien Willens. Einmal bleibt der Mensch ein unverwechselbares freies Individuum, dem aufgrund dessen eine unveräußerliche Würde zugeschrieben wird, das andere mal verschwimmt die Bewusstseinsgrenze zwischen Mensch und Maschine und damit generell die Demarkationslinie zwischen menschlicher  und extrahumaner Intelligenz. Diese hier nur angedeuteten ethischen Implikationen von den Schülerinnen und Schülers entdecken zu lassen, kann die skizzierte Unterrichtsreihe abschließen – oder zum dialektischen Ausgangspunkt für eine neue Reihe zur Willensfreiheit genommen werden.

Anhang: Einwände gegen Descartes’ Leib-Seele-Dualismus in den Meditationen

Mersenne contra Descartes 

Du wirst dich erinnern, dass du nicht etwa aktuell und in Wirklichkeit, sondern nur durch eine Fiktion deiner Seele alle Körpervorstellungen nach Kräften verbannt hast, um zu schließen, du seist nur ein denkendes Ding (res cogitans); jedoch glaube nicht etwa nachher, dass du schließen könntest, du seist in Wirklichkeit nur Geist oder Bewusstsein oder ein denkendes Ding […]. Warum soll es nicht ein Körper sein, der durch verschiedene Bewegungen und Veränderungen das hervorruft, was wir Bewusstsein (cogitatio) nennen? […] Denn wie willst du beweisen, dass ein Körper nicht denken kann? […] Aber auch der ganze Aufbau deines Körpers, den du ausgeschaltet zu haben meinst, oder […] etwa des Gehirns, können zur Bildung […] der Vorstellungen (cogitationes) […] zusammenwirken. 

(2. Einwände, S. 111 f.; zu Descartes’ Erwiderung: Vgl. ebd., S. 117 ff.) 

Hobbes contra Descartes 

Daraus, dass ich ein Denkender bin, folgt, „ich bin“, da ja dasjenige, was denkt, nicht nichts sein kann. Fügt Descartes aber hinzu: das heißt: Geist, Seele, Verstand, Vernunft“, so entsteht ein Zweifel. Denn es dürfte doch kein richtiger Schluss sein zu sagen: ich bin ein Denkender, also bin ich ein Gedanke (cogitatio)“, ebenso wenig wie: „ich bin ein Verstehender, also bin ich Verstand.“ Da könnte man ebenso gut sagen: „ich bin ein Spaziergänger“, also: „bin ich ein Spaziergang“. Descartes nimmt also an, dass es dasselbe ist, eine verstehende Sache und das Verstehen, welches die Tätigkeit des Verstehens ist. Es machen aber doch alle Philosophen einen Unterschied zwischen dem Subjekt und seinen Fähigkeiten und Tätigkeiten, d. h. seinen Eigenschaften und Wesenheiten; denn es ist etwas anderes das Sein selbst, etwas anderes seine Wesenheit. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass ein denkendes Ding die Grundlage des Geistes oder des Verstandes ist, und das dies demnach etwas Körperliches ist. Das Gegenteil wird zwar angenommen, aber nicht bewiesen, und doch scheint diese Annahme die Grundlage des Schlusses zu sein, den Descartes aufstellen möchte.

(3. Einwände, S. 156; zu Descartes’ Erwiderung: Vgl. ebd., S. 157 – 160)

Arnauld contra Descartes 

„Ich bin also ein denkendes Ding und kein Körper und dieser gehört nicht zu der Erkenntnis, die ich von mir habe“. Ich sehe aber, dass daraus nur folgt, dass ich eine bestimmte Erkenntnis meiner selbst ohne die Erkenntnis des Körpers erlangen kann, – dass jedoch diese Erkenntnis vollständig und adäquat ist, so dass ich sicher bin, mich nicht zu täuschen, wenn ich von meiner Wesenheit den Körper ausschließe, das leuchtet mir noch nicht vollständig ein. Ein Beispiel mag zur Erklärung der Sache dienen. 

Angenommen, jemand weiß, dass der Winkel im Halbkreise ein Rechter ist und demnach, dass das Dreieck aus diesem Winkel und dem Durchmesser des Kreises rechtwinklig ist, er bezweifelt aber […] oder bestreitet gar, durch irgendeinen Trugschluss irregeleitet, dass das Quadrat der Basis des rechtwinkligen Dreiecks gleich den Quadraten über den Seiten ist, so scheint es, dass er eben durch die von Descartes vorgeschlagene Art und Weise sich in seinen falschen Überzeugung befestigen wird. „Denn“, wird er sagen, „ich erkenne klar und deutlich, dass dieses Dreieck rechtwinklig ist, zweifle aber dennoch, ob das Quadrat über seiner Basis gleich den Quadraten über den Seiten ist, es gehört also nicht zu seiner Wesenheit, dass das Quadrat über der Basis gleich den Quadraten der Seiten ist.“ […] 

Ich sehe nicht, was man hierauf antworten könnte, außer dass dieser Mensch nicht klar und deutlich das rechtwinklige Dreieck erkennt. Woher weiß ich aber, dass ich klarer die Natur meines Geistes erkenne, als er die Natur des Dreiecks erkennt? […] Wie also er sich darin täuscht, dass er glaubt, es gehöre nicht zur Natur dieses Dreiecks, das er klar und deutlich als rechtwinklig erkennt, dass das Quadrat über der Basis usw. – warum soll ich mich also nicht etwa täuschen, wenn ich glaube, es gehöre zu meiner Natur, die ich sicher und deutlich als denkendes Ding erkenne, nichts anderes, als das ich ein denkendes Ding bin? Mag es doch vielleicht zu ihr gehören, dass ich ein ausgedehntes Ding bin!

(4. Einwände, S. 182 – 184; zu Descartes’ Erwiderung: Vgl. ebd., S. 203 – 208)

Gassendi contra Descartes (1)

Du ziehst den Schluss: „Ich bin also genau ein denkendes Ding, d. h. Geist (mens), Seele (animus), Verstand (intellectus), Vernunft (ratio)“. Hier erkenne ich an, ins Blaue hinein geredet zu haben. Ich war nämlich der Meinung, mit einer menschlichen Seele zu reden oder mit jenem inneren Prinzip, vermöge dessen der Mensch lebt, fühlt, sich fortbewegt, begreift; und doch sprach ich nur zu einem Geist, d. h. zu einem Wesen, das nicht nur den Leib, sondern auch die Seele selbst abgelegt hat. […] Und doch stutze ich, ob Du, wenn Du sagst, „das Denken könne nicht von Dir getrennt werden“ dabei verstehst, dass Du, solange Du bist, unaufhörlich denkst. […] Doch die werden sich nicht überzeugen lassen, die nicht begreifen, wie Du im lähmenden Schlaf oder sogar im Mutterleibe denken kannst. Und an dieser Stelle bleibe ich außerdem an der Frage hängen, ob Du meinst, dass Du in den Körper oder einen Teil von ihm schon im Mutterleibe oder erst von der Geburt ab eingeflößt worden bist. Doch ich will […] dich nur darauf hinweisen, dass Du Dich daran erinnerst, wie dunkel, wie geringfügig damals deine Denkfähigkeit gewesen ist. Wenn sie nicht fast gleich Null war.

(5. Einwände, S. 239 f.; Zu Descartes’ Erwiderung: Vgl. ebd., S. 323 – 329)

Gassendi contra Descartes (2)

Wenn du nämlich nicht ausgedehnter als ein Punkt bist, wie kannst du mit dem ganzen Körper verbunden werden, der von so bedeutender Größe ist, wie auch nur mit dem Gehirn oder einem kleinen Teil desselben, der, wie winzig er auch immer sein mag, doch Größe oder Ausdehnung besitzt? […] Und wenn du überhaupt keine Teile hast, wie kannst du dich vermischen mit den Teilchen eines Teiles von ihm? […] Wie soll, was körperlich ist, das, was unkörperlich [ist], erfassen,  um es in Verbindung mit sich zu halten, oder wie soll das Unkörperliche das Körperliche erfassen […]? Daher […] frage ich dich, wie glaubst du der Schmerzempfindung fähig zu sein, wenn du doch unkörperlich und unausgedehnt bist? 

(5. Einwände, S. 316 f.; zu Descartes’ Erwiderung: Vgl. ebd., S. 355)

(Zitate aus: René Descartes, Meditationen. Mit den sämtlichen Einwänden und Erwiderungen. Felix Meiner: Hamburg 1972) 

Hume contra Descartes: 

Es gibt einige Philosophen, die sich einbilden, wir seien uns dessen, was wir unser Ich nennen, jeden Augenblick aufs unmittelbarste bewusst; wir fühlten seine Existenz und seine Dauer; wir seien sowohl seiner vollkommenen Identität als seiner Einfachheit […] gewiss. Unglücklicherweise stehen alle diese so bestimmt auftretenden Behauptungen im Widerspruch mit eben der Erfahrung, die zu ihren Gunsten angeführt wird. Wir haben gar keine Vorstellung eines Ich, die jenen Erklärungen entspräche. […] Jede wirkliche Vorstellung muss durch einen Eindruck veranlasst sein. Unser Ich oder die Persönlichkeit aber ist kein Eindruck. Es soll ja vielmehr das sein, worauf unsere verschiedenen Eindrücke und Vorstellungen sich beziehen. […] 

Ich meines Teils kann, wenn ich mir das, was ich als „mich“ bezeichne, so unmittelbar als irgend möglich vergegenwärtige, nicht umhin, jedes mal über die eine oder die andere Perzeption [Vorstellung] zu stolpern, die Perzeption der Wärme oder Kälte, des Lichtes oder Schattens, der Liebe oder des Hasses, der Lust oder Unlust. Niemals treffe ich mich ohne eine Perzeption an und niemals kann ich etwas anderes beobachten als eine Perzeption. Wenn meine Perzeptionen eine Zeitlang nicht da sind, wie während des tiefen Schlafes, so bin ich ebenso lange „meiner selbst“ unbewusst, man hat dann ein Recht zu sagen, dass „ich“ nicht existiere. Und wenn meine Perzeptionen mit dem Tod aufhörten, und ich nach der Auflösung meines Körpers weder denken noch fühlen, noch sehen, weder lieben noch hassen könnte, so würde ich vollkommen vernichtet sein; ich kann nicht einsehen, was weiter erforderlich sein sollte, um mich zu etwas vollkommen „Nichtseiendem“ zu machen.  

(David Hume, Ein Traktat über die menschliche Natur. Bd. I. Über den Verstand. Übers. v. Theodor Lipps und hrsg. v. Reinhard Brandt. Meiner: Hamburg 1989, S. 325 – 327) 

 Vgl. Wulf D. Rehfus, Methodischer Zweifel und Metaphysik. Der bildungstheoretisch-identitätstheoretische Ansatz in der Philosophiedidaktik. Vierter Grundsatz. In: Wulff D. Rehfus / Horst Becker (hrsg.): Handbuch des Philosophie-Unterrichts. Schwann: Düsseldorf 1986, S. 98 – 113, hier S. 107 ff.; vgl. auch mein Aufsatz: Dialektik des didaktisches Prinzip. In: ZDPE 2/2000, S. 120

 Vgl. Matthias Schulze, Problemorientierung / Problementwicklung im Philosophieunterricht. Unveröffentl. Arbeitspapier für das Fachseminar Bonn / Troisdorf. Bonn 2006. 

 Susan Backmore, Die Macht der

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